Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten 16.04.2012
Autor Jens Noll.
Heslacher Friedhof:
Über viele Gräber gibt es Geschichten zu erzählen.
Der Heslacher Friedhof ist heute Bestandteil der Stadt. Er ist umgeben von Häusern, an einer Seite fährt die Stadtbahn entlang. Als der Friedhof 1798 errichtet wurde, lag er außerhalb der Grenzen Heslachs, das seinerzeit laut Geschichtsbüchern 770 Seelen, 18 fremde Dienstboten, einen Ausländer und einen Katholiken zählte. Die Bevölkerung ist seither gewachsen und mit ihr auch der Friedhof, der sich ursprünglich am heutigen Bihlplatz befand.
Doch nach wem ist der Bihlplatz eigentlich benannt? Das erklärt Hagen Müller bei einem Rundgang über den Heslacher Friedhof, zu dem am Samstag etwa 40 Teilnehmer gekommen sind. Müller ist Friedhofsgärtner und Mitglied der Geschichtswerkstatt Stuttgart-Süd. Die Führung ist eine Auftaktveranstaltung: Die Geschichtswerkstatt möchte in Zukunft weitere Touren zur Historie des Stuttgarter Südens anbieten.
„Der Bezug zur Geschichte ist auf dem Friedhof immer am besten erlebbar“, sagt Müller. Die Führung beginnt am Grab von Georg Friedrich Bihl. Der Namensgeber des Platzes war Baurat und Architekt. Mächtige Säulen schmücken das Grab. Noch imposanter ist die letzte Ruhestätte der Familie Benckendorff, deren Name heute die Straße trägt, an welcher der Friedhof liegt. Für seine Frau Natalie ließ Graf Constantin von Benckendorff 1823 ein Mausoleum nach Entwürfen des Hofbaumeisters Giovanni Salucci errichten, dem Erbauer der Grabkapelle auf dem Württemberg.
Graf von Benckendorff war russischer Gesandter am württembergischen und badischen Hof. „Er starb bei einem Feldzug in Bulgarien“, erzählt Müller, „aber sein Leichnam wurde in drei Monaten nach Heslach zurück transportiert.“ Neben ihm und seiner Frau sind auch der Sohn und dessen Frau in der Gruft beigesetzt. Kapelle und Gruft sind normalerweise geschlossen, für seine Zuhörer öffnet Müller die Tore an diesem Tag.
Hagen Müller führt die Gruppe zu den Gräbern. Zu mehr als 30 Gräbern weiß Müller etwas zu berichten. Sein Wissen hat der 54-Jährige aus Geschichtsbüchern und Erzählungen zusammengetragen. Er führt die Gruppe auch zu Gräbern von Persönlichkeiten wie dem ersten Autobesitzer Heslachs, Adolf Haaga, dem Jazzmusiker Hans-Jürgen Bock, der Hochseilartistin Maria Heitele, die als lebende Fackel weltweit Auftritte hatte, und zahlreichen Unternehmern aus Heslach.
„In Heslach gab es früher sehr viele Brauereien“, berichtet Müller. Man kann es auf vielen Grabsteinen ablesen. Die Familie Frank betrieb eine Brauerei, ebenso die Familie Sanwald und Bernhard Rettenmeyer. Durch Zukäufe und Fusionen entwickelte sich die Aktienbrauerei Rettenmeyer im Laufe der Zeit zur Stuttgarter Hofbräu AG.
Noch einmal zurück zu den Namensgebern der Straßen: Conrad Haußmann, der Vizepräsident der Weimarer Nationalversammlung, sowie der erste sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete aus Württemberg, Karl Kloß, liegen ebenfalls in Heslach begraben. Wie beliebt Kloß beim Volk war, zeigt folgende Anekdote: Seine Trauerfeier fand damals auf dem Pragfriedhof statt, der Trauerzug begann in Heslach. „Als der Trauerzug am Pragfriedhof ankam, sind in Heslach noch Menschen losgelaufen“, erzählt Müller.
Inmitten seines Rundgangs bleibt er plötzlich an einem Grab mit leuchtend gelber Blumenpracht stehen. „Die Familie Müller“, sagt er und deutet auf den Grabstein, „hat nichts mit der Müllerstraße zu tun.“ Für ihn hat der Ort trotzdem eine Bedeutung: Es ist das Grab seiner Familie.