Stuttgarter Wochenblatt 22.10.2014
Autorin Andrea Rothfuss.
Vom Zirkus zur Disco.
Historiker Wolfgang Jaworek über den Marienplatz im Wandel.
Am Samstag fand die Stuttgartnacht statt. Auch der Marienplatz war Teil der Aktion. Hier konnte man sich über die Vergangenheit des Platzes informieren. Eingeladen hatte die Geschichtswerkstatt Süd.
Der Marienplatz in Stuttgarter Süden ist beliebt, hier kann man gemütlich einen Kaffee trinken, Sport treiben, in die Zacke einsteigen und Stuttgart von oben genießen, zum Beispiel vom romantischen Santiago-de-Chile-Platz. Doch der Platz ist nicht immer so gewesen, wie er sich heute präsentiert. Einen Blick zurück konnte man am Samstag bei der Stuttgartnacht wagen. Dort berichtete Wolfgang Jaworek, wie sich der Platz über die Jahrhunderte verändert hat bis zum heutigen Erscheinungsbild. Wolfgang Jaworek legt bei seiner Arbeit als Historiker Wert darauf, dass man sich nicht nur „nostalgisch rückwärtsgewandt mit der Geschichte beschäftigt, sondern diese als Hintergrund für die Gegenwart nimmt. Um diese besser zu verstehen“.
Der Marienplatz sei schon immer Zentrum des öffentlichen Lebens und des Verkehrs gewesen. „Wir haben unter anderem in Quellen des Stadtarchivs gesucht, alte Pläne und Karten von früher gefunden“, so Wolfgang Jaworek. Und dadurch wissenswerte Infos und einige vielleicht noch unbekannte Geschichten rund um den Marienplatz gefunden. Wer hätte zum Beispiel gewusst , dass auf dem Platz ein Zirkusgebäude des Hangleiterschen Zirkus stand. Und zwar von 1892 bis 1916. Laut Wolfgang Jaworek war es wohl eines der modernsten Zirkusgebäude mit 3500 Sitzplätzen und einer Eisenkuppel. Das Gebäude musste aber 1916 abgerissen werden, aus feuerschutztechnischen Gründen. Ab 1936 wurde der Marienplatz dann umbenannt in den Platz der SA. Unterhalb des Marienplatzes wurde ein Bunker gebaut und auf dem Platz wurden Kleingärten angelegt. „Es geht die Sage um, dass dabei besonders viel Tomaten angebaut wurden. Im Volksmund soll der Platz deswegen ‚Platz der Tomaten’ genannt.“ Die Bunkerräume werden heutzutage von Bands als Proberäume genutzt. Der Kaiserbau am Marienplatz wurde 1911 erbaut und darin wurde ein Automatenrestaurant betrieben. Und das älteste noch erhaltene Gebäude stammt von 1884. Dort verkaufte früher ein Bäcker seine Brötchen, heute findet man darin unter anderem das Burger King Restaurant.
Heute ist der Platz großzügig und frei angelegt, das war bis 2001 nicht so. Bis dahin war er unübersichtlich eng und scheinbar ohne gestalterisches Konzept. „Dann entstand ein Gegenkonzept, ein freier Platz. Zehn Jahre nach der Eröffnung des Marienplatzes 2003 kann man heute gut sehen, dass der Platz funktioniert, auch als Zentrum für sozialen Austausch und Begegnung. Aber man hatte davor Angst vor einer Betonwüste, vor einer verlorenen Fläche“, so Wolfgang Jaworek. Heute wird der Platz vielfältig genutzt, zum Beispiel für den wöchentlichen Gemüsemarkt oder das Marienplatzfest mit der Silent Disco. Dort konnte man auch nach 22 Uhr noch weiter Musik hören, einfach über Kopfhörer. Und kein Anwohner wurde von zu lauter Musik gestört.