Stuttgarter Zeitung 12.11.2012
Autorin Simone Gaul.
Stadtspaziergang
,,Auf traurigen Spuren im Lehenviertel“.
S-Süd – Tulpenstraße Nummer 14. Hier wohnten die fünfjährige Ruth Lax und ihre Mutter Edith. Dann, am 20. November 1941 bekam Edith Lax einen Brief: „Auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei haben wir Sie davon zu verständigen, dass Sie und Ihr oben bezeichnetes Kind zu einem Evakuierungstransport nach dem Osten eingeteilt sind. Sie haben sich ab Mittwoch, dem 26. November, in Ihrer jetzigen Unterkunft bereit zu halten“, liest Pfarrer Siegfried Bassler den Wortlaut des Schreibens vor. Was folgt, ist die brutale Geschichte einer Judendeportation, die vier Monate später in einem Waldstück bei Riga endet. Hier wurden die Stuttgarter Jüdinnen Ruth und Edith Lax erschossen.
Die Geschichtswerkstatt Stuttgart-Süd hat am Samstag zu einem historischen Rundgang eingeladen, auf den Spuren der Stolpersteine im Lehenviertel. Rund 25 Zuhörer sind gekommen: ältere, die noch eigene Kriegserinnerungen haben, und auch junge, die die Schoah nur aus dem Geschichtsbuch kennen.
„107 oder 108 Stolpersteine haben wir im Süden bereits verlegt“
In der Tulpenstraße erinnern heute zwei zehn mal zehn Zentimeter große Stolpersteine an Ruth und Edith Lax. Mehr als hundert dieser kleinen Messingtafeln sind im Stuttgarter Süden inzwischen in den Boden eingelassen – jede trägt den Namen eines Naziopfers. „107 oder 108 Stolpersteine haben wir im Süden bereits verlegt“, sagt Siegfried Bassler.
Schon 2003, als der Kölner Bildhauer Gunter Demnig sein Stolperstein-Projekt begann, machte sich die Initiative Stolperstein Stuttgart-Süd dafür stark, die Gedenktafeln auch in ihrem Stadtbezirk zu verlegen. Das Werk ist fast vollbracht: „Uns fehlen nur noch drei oder vier Steine“, sagt Bassler. Da die Namen der Deportierten in langen Listen sorgfältig aufgeführt sind, weiß er genau, wie viele Menschen aus dem Stuttgarter Süden in einen der Züge eingestiegen sind, die sie vom Nordbahnhof aus in die Vernichtungslager brachten.
In dem Haus Tulpenstraße Nummer sieben lebten seit 1934 Isidor und Klara Fromm mit ihrem Sohn Otto. Der war bereits 1938 nach Buchenwald gekommen, die Nazis deportierten seine Eltern dann 1942 nach Theresienstadt.
Nicht jeder will erinnert werden
Die Gruppe spaziert weiter. In der Altenbergstraße quetscht sich ein Kleinbus an der Gruppe vorbei. „Na, so viele auf einem Haufen! Was macht ihr denn da?“, ruft der Fahrer. Eine Frau sagt: „Wenn er wüsste, warum wir hier sind…“ Die Gruppe wandert auf den Spuren eines traurigen Stücks Stuttgarter Geschichte – doch das Leben drum herum geht weiter.
Und nicht jeder will erinnert werden. In der Hohentwielstraße habe ein Hausbesitzer gegen den Stolperstein geklagt, erzählt Bassler und einige seiner Zuhörer schütteln die Köpfe. Die Stolpersteine sollen erinnern, nicht heutige Besitzer der Gebäude bloßstellen. So sah es auch das Gericht. Die Klage wurde abgewiesen.